Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres angesichts der Terroranschläge in Paris
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Vielleicht haben Sie gestern den ganzen Tag über immer mal wieder das Fernsehen eingeschaltet um sich über die Geschehnisse in Paris zu informieren. Vielleicht gab es auch Zeiten, wo sie ganz bewusst alles an Medien ausgeschaltet haben, um nicht immer wieder daran erinnert zu werden. Und das nicht aus mangelndem Interesse. Sondern weil Sie es irgendwann nicht mehr hören und sehen konnten.
Die Schreckensnachrichten, die immer gleichen Bilder, wiederholten Videos. Einfach alles zu viel. Und dann das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht.
Was können wir tun? Das ist die Frage, die gestern überall zu hören war:
Wie können wir den Opfern helfen?
Und die Antworten die darauf gefunden wurden, haben mich teilweise zu Tränen gerührt:
Um deutschen Fans nach dem Fußballspiel im Stade de France eine Zuflucht zu geben, machte schnell das Wort, der Hashtag #porteouverte, „offene Tür“ die Runde. Unzählige Menschen fanden so Unterschlupf in der fremden Stadt.
Vor Blutspendezentren bildeten sich lange Schlangen von Freiwilligen.
Blumen und Kränze, in aller Welt vor den Botschaften Frankreichs niedergelegt, zeigen das enorme Mitfühlen und Mittrauern.
Die sozialen Netzwerke zeigen ihre Stärke in diesen Tagen:
Persönliche Geschichten werden geteilt, Aufrufe zu Besonnenheit und Solidarität, „nous sommes unis“ „Wir sind eins“
und immer wieder „Pray for paris“, Betet für Paris.
Doch es gibt auch die, die sofort meinen, Handeln zu müssen.
Die Kriegsrhetorik verwenden:
Auch der französische Präsident spricht von einem „Kriegsakt“ und kündigt an, „erbarmungslos Zurückschlagen“ zu wollen.
Der Ausnahmezustand wurde verhängt, Grenzkontrollen wieder eingeführt. Die Länder in Europa bieten ihre Unterstützung und Zusammenarbeit an. Vor allem auch ein Zusammenarbeiten der Geheimdienst und Polizeiapparate.
Und heute Morgen konnte man schon von den ersten Erfolge in dieser Zusammenarbeit hören: In Belgien sind Menschen festgenommen worden, die unter dem Verdacht stehen, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.
Ein erstes Aufatmen? Vielleicht.
Unter dem Eindruck, dass Deutschland genauso zur Zielscheibe von Terroranschlägen werden kann wie Frankreich hat der Innenminister Thomas De Maiziere angekündigt, dass sich die Polizeipräsenz in Deutschland erhöhen wird und dass die Polizisten „robuster“ ausgestattet werden würden. Was auch immer das bedeuten mag.
Und es wird viele in Deutschland geben, die aufatmen, weil sich dadurch ihr Gefühl von Sicherheit wieder verstärkt.
Was können wir noch tun?
Noch mehr Kontrolle? Noch mehr Polizei? Präventivschläge in Syrien um diese Terrororganisation, die sich Islamischer Staat nennt, auszulöschen?
Der Landesbischof der Ev. Luth. Kirche Bayerns, und Ratsvorsitzender der EKD, Heinrich Bedford-Strohm wurde gestern in der Fernsehsendung „Hart aber fair“ mit Kopfschütteln bedacht. Er brachte in die Diskussion ein, dass man um Terror zu bekämpfen, die Ursachen dafür beseitigen muss.
Aber das braucht einen langen Atem und an Tagen wie gestern braucht man kurzfristige Resultate.
Der für heute vorgeschlagene Predigttext scheint in diese Situation nicht hineinzupassen:
Aus dem Lukasevangelium im 18. Kapitel.
Hier in der Übersetzung der Guten Nachricht.
Mit einem Gleichnis zeigte Jesus seinen Jüngern, den Männern und Frauen, dass sie immer beten müssen und darin nicht nachlassen dürfen. Er erzählte:
»In einer Stadt lebte ein Richter, der nicht nach Gott fragte und alle Menschen verachtete.
In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe. Sie kam immer wieder zu ihm gelaufen und bat ihn: ‚Verhilf mir zu meinem Recht!‘
Lange Zeit wollte der Richter nicht, doch schließlich sagte er sich: ‚Es ist mir zwar völlig gleichgültig, was Gott und Menschen von mir halten; aber weil die Frau mir lästig wird, will ich dafür sorgen, dass sie ihr Recht bekommt.Sonst kratzt sie mir noch die Augen aus.’«
Und der Herr fuhr fort:
»Habt ihr gehört, was dieser korrupte Richter sagt?
Wird dann nicht Gott erst recht seinen Erwählten zu ihrem Recht verhelfen, wenn sie Tag und Nacht zu ihm schreien? Wird er sie etwa lange warten lassen?
Ich sage euch: Er wird ihnen sehr schnell ihr Recht verschaffen. ?«
Es ist wieder einmal ein anstößiges Gleichnis, was Jesu seinen Jüngern und den Menschen, die ihm folgen erzählt.
Ein korrupter Richter, das mag etwas sein, das die Menschen zurzeit Jesu kannten und arme Witwen, die praktisch rechtlos waren wenn sie keine Familie hatten, auch.
Es mag so etwas wie Triumph gewesen sein, was man beim ersten Hören des Gleichnisses empfindet:
Die arme Witwe gewinnt, nur aufgrund ihrer Hartnäckigkeit.
Sie muss mutig gewesen sein, denn so ganz ohne Gefahr war es nicht, sich einem Richter, einem der das Gesetz nicht so genau nahm, zu nähern und ihn zu drängen.
Doch am Ende hat sie bekommen, was sie wollte. Was es war, wird hier nicht erwähnt. Es ist unwichtig. Es geht darum, dass sie nicht nachgelassen hat, bei etwas, das sie für Unrecht erkannt hat. Sie hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt, nicht den Mut verloren, nicht resigniert.
Sie hat weiter gemacht, ohne zu wissen, was dabei rum kommt.
Das für die Jünger anstößige ist, dass Jesus Gott selber mit diesem ungerechten Richter vergleicht.
Gott ist doch ein gerechter Richter!
Aber nicht das ist der springende Punkt!
Sondern Jesus will deutlich machen:
Wir sollen hartnäckig sein und unsere Anliegen immer und immer wieder vor Gott bringen! Wir sollen nicht nachlassen im Gebet, auch wenn es nicht so aussieht, als würde es etwas verändern!
Mir fällt da eine Strophe des Abendliedes „Abend ward, bald kommt die Nacht“ ein. Dort heißt es:
„Jesus Christ, mein Hort und Halt,
Dein gedenk ich nun,
Tu mit Bitten Dir Gewalt,
Bleib bei meinem Ruhn.“
Es hat mich immer gestört, „Gott oder Jesus Christus Gewalt anzutun“. Es ist ungehörig.
Und doch heute denke ich anderes. Es gibt im Deutschen ein Wort für dieses tiefe Verlangen, diese drängende Bitte, den alles beherrschenden Wunsch, der einem Gegenüber kaum einen adere Wahl lässt, als dementsprechend zu reagieren.
Es lautet INBRUNST.
Und ich stelle mir vor, dass die Terroristen beim Sturm in die Menschenmassen mit angelegten Maschinengewehren voller Inbrunst „Allahu akhbar“ riefen. Und ich höre wie
Francois Hollande voller Inbrunst vom „erbarmungslosen Zurückschlagen“ spricht.
Doch unsere Antwort kann nur sein
Voller Inbrunst zu Gott beten und ihn um ein Ende des Krieges und der Gewalt bitten.
Voller Inbrunst darum zu bitten, dass SEIN REICH KOMME UND SEIN WILLE GESCHEHE; WIE IM HIMMEL SO AUF ERDEN:
Was würde geschehen, wenn die Menschen ihre Inbrunst nicht gegeneinander richten würden sondern ins Gebet münden lassen würden. Was könnte sich verändern?
Ich möchte uns Raum geben, darüber nachzudenken.
Halten wir einen Moment Stille
<STILLE>
Mit einer Anmerkung möchte ich schließen:
Am letzten Samstag, bei der Synode des Kirchenkreises war Dr. Schmeer, Pfarrer im Ruhestand des Kirchenkreises Moers zu Gast und hielt einen Vortrag genau zum Thema Friedensbildung.
Eindrücklich waren für mich folgende Gedanken:
Oftmals wird als Begründung für Gewalt herangezogen, dass es nun tatsächlich die letzte Möglichkeit, die ultima Ratio sei.
Und in solchen Situationen wie zurzeit, scheint es wirklich keinen anderen Ausweg zu geben.
Vergessen wird, dass wenn man nicht permanent zum Äußersten Mittel greifen will, man frühzeitig mit anderen Strategien der Gewalt begegnen muss.
Die Ursachen von Armut und Hunger beseitigen, den Dialog unter verfeindeten Gruppen fördern, für Gerechtigkeit vor Ort zu sorgen, damit nicht der Wunsch entsteht Rache zu nehmen.
Die Antwort des Westens auf die Terroranschläge kann nicht Vergeltung sein oder Vernichtung.
Sondern Dialog und Hilfe!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
Danke für diesen Text. Er hat mich berührt. Vero