Wie kommt Gott ins Heim?

Ich werde manchmal gefragt, was meine Aufgaben als Religionspädagogin im Heim sind. Was genau ich mache. Und das ist gar nicht so einfach zu erklären. Vor allem, weil ich gar nicht die Einzige bin, die diese Arbeit macht. Auch wenn ich als Einzige den offiziellen Titel habe.

Denn in erster Linie sind es die Mitarbeiter in den Gruppen und im Haus, die durch ihren liebevollen und respektvollen Umgang den hier lebenden Mädchen, die Liebe Gottes deutlich machen.

Hier werden Mädchen ganz unabhängig von ihrer Leistung und trotz ihres, manchmal sehr belastenden Verhaltens, angenommen und ermutigt. Hier erfahren sie Wertschätzung und Respekt.

In ihrem Leben haben die Mädchen oftmals so viele schwere und belastende Erfahrungen gemacht, dass sie einen Glauben an einen guten Gott verloren haben.

Manche fragen: „Warum hat Gott das zugelassen?“ Und manche fragen gar nicht mehr, sondern haben abgeschlossen mit Gott: Sie sagen. „Gott kann mir gestohlen bleiben! Er war nicht da, als ich seine Hilfe brauchte. Jetzt will ICH nicht mehr!

Und nicht wenige Mädchen sehen ihr erlittenes Leid als einen Beweis dafür an, dass sie nichts wert sind. Nicht lebens-wert und schon gar nicht liebens-wert.  Sie haben ihre Erfahrungen mit Gott gemacht. Sie erfahren von Gott nicht erst durch unsere religionspädagogischen Angebote.

Die Angebote, die wir den Mädchen machen, um ihnen den Glauben ein Stückchen näher zubringen, müssen das immer im Blick haben.

Aber wir können uns ihren Fragen und Klagen stellen.

Dem nicht auszuweichen und vorschnell einen „liebenden Gott“ beweisen zu müssen, ist wohl das Härteste in der Arbeit. Und manchmal können wir nicht mehr, als uns auf ihre Seite zu stellen und mit ihnen zu klagen.

Und uns später, ganz viel später, mit ihnen auf die Suche nach guten Erfahrungen zu machen. Von einer solchen Suche möchte ich nun erzählen.

Das Angebot hieß  „Schnupperkurs Pilgern“ und fand in den Sommerferien 2011 statt. Angeregt von eigenen Erfahrungen bei Straßenexerzitien, will ich mit einer kleinen Gruppe von Mädchen einen halben Tag durch das Dorf Neukirchen wandern.

„Heilige Orte in Neukirchen entdecken“, so lautet das Motto an diesem schönen Sommertag. Kritisch und zum Teil auch skeptisch sind die Mädchen. „Gehen wir jetzt in die Kirche?“ lautete die erste Frage. „Nein, mit „heiligen Orten“ sind nicht nur Kirchen gemeint. Wir machen uns heute auf den Weg und schauen, was passiert. Ich bin mir sicher, dass ihr Orte wiederfindet, an denen euch etwas Besonderes passiert ist. Manchmal gibt es Situationen, da merkt man, die sind etwas ganz Besonderes. Man bleibt vielleicht versunken stehen und schaut und vergisst den Alltag. Oder man entdeckt etwas so Schönes, dass die ganze Welt auf einmal ein klein bisschen heller wird. Oder man ist grade „ganz zufällig“ zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Das sind Momente, die nenne ich „Heilig“.

Vielleicht ist das, was da passiert nämlich nicht einfach nur Zufall, sondern das Geschenk von einer größeren Macht, vielleicht von einem liebevollen Gott. Deshalb gehen wir heute durch das Dorf und schauen, ob wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle so etwas Heiliges entdecken oder vielleicht auch schon erlebt haben.“

Wir machen uns auf den Weg. Es wird gealbert, geseufzt, immer wieder werden Zweifel geäußert, mehrmals gefragt: „Wie lange soll das denn gehen?““ doch auf einmal sind wir drin.

Die ersten Erinnerungen kommen. Ganz vorsichtig werden sie geteilt. Von Freundschaften ist die Rede, von ersten Treffen, Kindheitserinnerungen werden wach. Wenn eine redet, hören die Anderen gut zu. Es wird viel gelacht. Zwischendurch gibt es kurze Texte aus der Bibel: Die Schöpfungsgeschichte, die Bergpredigt, ein Klagepsalm.

Manchmal machen wir einen Umweg, weil auch unangenehme Orte auf dem Weg liegen. Immer offener erzählen die Mädchen. Ganz neue Seiten entdecken wir aneinander. Die letzte Stunde wird das Laufen beschwerlich. Es ist heiß, die Sonne brennt, das Gewerbegebiet, durch das wir laufen, ist trostlos und bietet keinen Schatten. Doch auf dem Parkplatz wartet ein Auto mit einem gut gefüllten Picknickkorb.

Die Mädchen, inzwischen gut geübt im Erkennen von „Heiligen Orten“, finden sofort den Zusammenhang; Egal wie hässlich die Umgebung ist:

Zusammen zu sitzen und gemeinsam zu essen ist etwas Heiliges, da geschieht etwas besonderes, etwas, das größer ist als man selbst.

Später, am Ende eines Tages voller Eindrücke, der Entschluss: Das machen wir noch mal! Nächsten Sommer!

(Dieser Artikel wird auch am 5.12.2011 in den „Neukirchener Mitteilungen“ veröffentlicht)